Gab es in der DDR Edeka?
Ja, in gewisser Weise schon. Auch wenn man es kaum glauben mag, ist doch Edeka seit langem eine der großen Handelsketten, die den westlichen, kapitalistischen, freien oder wie auch immer Einzelhandel geradezu zu repräsentieren scheint.
Der Beweis wurde im Internet versteigert: Eine bei eBay gehandelte Rechnung von der Edeka Genossenschaft Erfurt eGmbH aus dem Jahr 1955, und damals lag die wunderschöne Stadt Erfurt bekanntlich in der DDR. Ausgestellt war sie offensichtlich an einen Einzelhändler im ca. 100 km entfernten Arnstedt – wer sonst kauft auch kartonweise Kaffee, 20 Stück Kernseife und 20 Pakete Zwieback.
Aber wie kann das sein, wo doch Produktion und Handel in der DDR verstaatlicht waren?
Die kürzeste Antwort darauf lautet: Sie waren es nicht von Anfang an und nie vollständig.
1972 gab es noch ca. 11.000 private Betriebe in der DDR mit ca. 50.000 Beschäftigten, die noch ca. 15% der Industrieproduktion erwirtschafteten. Mit Honeckers Machtantritt in diesem Jahr kommt es dann zu einer verstärkten Verstaatlichung der verbliebenen Privatbetriebe.
Als die DDR am 07.Oktober 1949 auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone gegründet wurde (die Bundesrepublik bereits am 24. Mai 1949, die westdeutsche D-Mark wurde bereits im Juni 1948 in den Westzonen eingeführt), hatte die sowjetische Besatzungsmacht bereits die ersten gesetzlichen Grundlagen für eine Verstaatlichung der Großindustrie geschaffen Denn die sah man als ursächlich und mitverantwortlich für den Sieg des Faschismus an.
Auf der anderen Seite gab es seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland Konsumgenossenschaften. Sie entstammten größtenteils der Arbeiterbewegung und sollten eine eigene, vom kapitalistischen Markt weitgehend unabhängige Versorgung der Arbeiterschaft ermöglichen. Die Mitglieder finanzierten die Genossenschaften und ihre Verkaufsstellen durch Genossenschafts-Anteile selbst; damit waren die Genossenschaften idealerweise demokratisch selbstbestimmt, von Krediten der Großbanken unabhängig und stützten sich vorwiegend auf örtliche Kleinbauern. Viele Genossenschaften verbanden damit auch die Perspektive einer allmählichen Überwindung eines in ihren Augen ausbeuterischen und kriegstreibenden internationalen Kapitalismus, der nicht zuletzt die kleinen örtlichen Lebensmittelproduzenten zugrunde richte. Im Faschismus wurden diese Genossenschaften ebenso wie die Gewerkschaften als Teil der Arbeiterbewegung zerschlagen. Im Gegenzug wurden die Konsumgenossenschaften bzw. ihr einheitlicher Dachverband bereits am 18.12.1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht wieder ins Leben gerufen und fortan geschützt.
Daher wurde der Groß- und Einzelhandel in der DDR seit 1948 von zwei Hauptmächten bestimmt: Zum einen von der HO (Handelsorganisation), den zentral gelenkten Groß- und Einzelhandels-Einrichtungen in der Rechtsform des Staatseigentums. Sie unterstanden dem Ministerium für Handel und Versorgung, und ihre Aufgaben wurden jeweils im Volkswirtschaftsplan festgelegt. Daneben gab es den Konsumgenossenschaftsverband mit eigenen Produktions- und Handelsbetrieben in regionalen Strukturen. Die HO hatten vom Start weg einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Sie haben sehr schnell begehrte Gebrauchsgüter und Lebensmittel ohne Lebensmittelmarken verkauft, wurden entsprechend bei der Belieferung bedacht und deckten 1960 immerhin schon 37% des Einzelhandelsumsatzes in 35.000 Geschäften ab. Aber selbst Walter Ulbricht war nicht so verrückt, bei der zentralen Frage, der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung, alles auf eine Karte zu setzen, und die Konsumgenossenschaften hatten mit ihrem geschichtlichen Hintergrund eine besondere, geschützte Stellung.
Und was hat das jetzt alles mit dem heutigen Edeka zu tun?
Edeka war ursprünglich eine Genossenschaft. Sie wurde 1898 als „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin“ gegründet und 1907 mit anderen zu einem nationalen Verband namens „Zentraleinkaufsgenossenschaft des Verbandes deutscher kaufmännischer Genossenschaften eGmbH“ vereinigt. Der gründete 1914 auch eine eigene Bank und nahm, v.a. in der Weimarer Republik, einen steilen Aufstieg. 1933 erklärte er dann schließlich auf Druck der faschistischen Regierung hin seine Gleichschaltung.
Heute ist Edeka, deren einzelne Läden noch immer von selbständigen Kaufleuten als Personen oder GmbH geführt werden, in der Zentrale längst eine Aktiengesellschaft. Sicherlich war Edeka auch als Genossenschaftsverband nie mit der Arbeiterbewegung verbunden, sondern eben eher eine Einkaufsgenossenschaft unabhängiger Kaufleute, aber eben eine Genossenschaft, und damit vermutlich unter dem Schutz der sowjetischen Politik. Das verrät auch die Bezeichnung der Rechtsform sowohl von 1907 als auch auf der Rechnung, die eingangs den Existenzbeweis in der DDR lieferte: „eGmbH“ bedeutet nämlich handelsrechtlich „eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftung (bzw. Haftpflicht)“. Damit erübrigt sich nebenbei auch die Diskussion, ob besagte Rechnung nicht doch von 1935 (ist im Abbild nur schwer erkennbar) stamme: Den offiziellen Auftritt einer Genossenschaft hätten die Nazis gewiss nicht zugelassen.
Leider wissen wir nichts über das weitere Schicksal jener Edeka eGmbH in Erfurt. Sicher dürfte sein, dass ihr Handlungsspielraum nicht mit dem eines Geschäfts in unserer Marktwirtschaft vergleichbar war: Der Großhandel war weitgehend staatlich reglementiert, der Außenhandel vollständig, und damit die Frage, was eine einzelne Handelsorganisation zu welchen Preisen beziehen konnte. Zudem gab es für die wichtigsten Güter die staatlich festgesetzten sogenannten EVP, Einheitsverkaufspreise, die sicherstellen sollten, dass es niemandem jemals wieder aus Geldgründen an der Grundversorgung mangelte. Die wirtschaftlichen Probleme der DDR wurden mit einer derartigen Dauersubventionierung aber eher verstärkt als behoben. Z.B. wurde das spottbillige Brot gerne an Kleinvieh verfüttert, weil es billiger als jedes Futtermittel war.